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Rückblick

Adbustings zum Polizeikongress: Ein Rückblick.

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2022 gibt es keine Demo zum Polizeikongress. Vermutlich werden die Cops das Fehlen einer Demo gar nicht bemerken, denn besonders konfrontativ waren die Demos in den letzten Jahren aller Verbalradikalität zum Trotz nicht. Dafür ärgerten sich die Sicherheitsbehörden so sehr über veränderte Werbeplakate, dass Adbustings sogar Thema im Terrorabwehrzentrum GETZ waren. Doch die Repression war ein Bumerang: Sie führte letztlich dazu, dass in Berlin Adbusting de facto entkrimimalisiert ist und die Cops auf Werbung mit City-Light-Postern verzichteten. Ein analytischer Rückblick, wie dieser seltene autonome Kampagnenerfolg ganz ohne Demos möglich war.

Der diesjährige Verzicht auf eine Mobilisierung zum Polizeikongress ist eine gute Gelegenheit, nach dem Sinn großangelegter Demo-Mobilisierungen zu diesem Event zu fragen. Da keine Mobi stattfindet, fällt man mit kritischen Fragen auch niemanden unsolidarisch in den Rücken. Was uns hier besonders interessiert, ist die Frage, wie viel oder wenig durch die Demos erreicht wurde, dass es in der Mehrheitsgesellschaft zum Hinterfragen des neoliberalen Sicherheits-Narrativ und der Polizei kommt, und ob dies nicht viel eher z. B. durch andere Aktionsformen erreicht werden könnte.

Proteste seit den 2000ern
Die Proteste gegen den Polizeikongress beginnen in den 2000er Jahren. Eine mehr oder weniger große Demo scheint von Anfang an zentraler Teil des Protestkonzeptes gewesen zu sein. Das Verändern von Werbung scheint dabei erst recht spät eine Rolle zu spielen. Die ersten Adbustings, die wir im Internet finden konnten, die gegen den Polizeikongress protestieren, stammen aus dem Jahr 2016.

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2016: „Gewalttäter? Einer muss es ja machen“
Damals lieh sich die Künstler*innengruppe „Gewalttäter*innen dissende Polizeikritiker*innen (GdP)“ das Logo der Gewerkschaft der Polizei und ein paar Playmobil-Polizist*innen aus und machten daraus ein Poster. Darauf stand groß: „Gewalttäter? Einer muss es ja machen“ und etwas kleiner: „Ohne staatlich bezahlte professionelle Gewalttäter gibt es leider auch keinen Rechtsstaat. Stehen Sie deshalb zu Ihrer Polizei, wenn sie mal wieder mit ungerechtfertigter Kritik überzogen wird.“

Vermutlich mittels „Spoofing“, also dem elektronischen Umadressieren von E-Mails, versendeten die Chaot*innen außerdem ein gefälschtes Dementi im Namen der GdP. Angeblich zog sich die GdP den Schuh mit den „Gewalttätern“ voll an. Bei der Morgenpost aus dem Springer-Verlag kann man ein gefälschtes Zitat nach wie vor nachlesen: „Der Bundesvorsitzende der GdP, Oliver Malchow, distanziert sich von der illegalen kriminellen Aktion: ,Ich dachte, ich trau meinen Augen nicht, als ich heute morgen diese infame Frechheit gesehen habe! Wer rechtmäßige Polizeieinsätze als Anschlag auf die Demokratie verunglimpft, hat unsere Demokratie nicht verstanden!‘ Die GdP hat inzwischen Anzeige gegen Unbekannt erstattet.“

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Die Polizeikongress-Demo im Jahr 2016 war noch eine der Besseren. Sie fand am Eröffnungstag statt und endete in Hör- und Sichtweite des bcc am Alex, wo der „Kongress“ statt fand. Trotzdem findet sich im Netz nichts mehr dazu. Die Morgenpost und der Tagesspiegel zeigen bis heute dank der Adbusting-Aktion Polizist*innen als Gewalttäter*innen.

2017: Verzicht auf Störungen
Im Jahr 2017 verzichtete die Autonome Szene auf eine direkte Konfrontation. Die rituelle Demo fand bereits drei Tage vor der Eröffnung statt und führte durch Kreuzberg. Die Organisator*innen verabschiedeten sich damit von der Idee, beim Polizeikongress zu stören und liefen lieber im Kreis durch einen Szenestadtteil. Adbustings lassen sich auch nicht ergoogeln.

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2018: „Da für 5003 Schlackstockeinsätze“
2018 gab es seit langem keine Mobilisierung zum Polizei-„Kongress“. Stattdessen schlug die Kommunikationsguerilla umso heftiger zu. Drei Wochen vor dem Polizei-„Kongress“ hatte die Berliner Polizei eine neue Werbekampagne im City-Light-Format gestartet. Aktivist*innen klauten diese im großen Stil und hingen in die leeren Werbevitrinen stattdessen A3-Zettel mit der Aufschrift: „Achtung: Hier wurde ein Polizei-Plakat entfernt.“ Das Plakat erklärt auch warum: „Staatliche Gewalt kann Ihnen und Ihrer Gesundheit massiv schaden.“

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Rund um den Tagungsort am Alex tauchten die Poster pünktlich zum Pozilei-“Kongress“ wieder auf. Allerdings hatte die Kommunikationsguerilla-Gruppe „@da_fuer_dich“ den Plakaten in der Zwischenzeit ein Update verpasst. Statt „Da für 5003 Demonstrationen pro Jahr und 1 Meinungsfreiheit“ hieß es nun „Da für 5003 Schlagstockeinsätze und die beste G20-Party“, „Da für 32300 Einzelfälle von nicht verfolgten Racial Profiling“ oder „Da für 1282695 mal mackeriges Auftreten, sexistische Sprüche und Übergriffe.“

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Die beim „Kongress“ versammelten autoritären Charaktere muss dass sehr geärgert haben und der Berliner Polizei war das sehr unangenehm. Gleich in der Woche drauf startet das LKA 521 mit viel Aufwand ein Strafverfahren. Weil man dort keine Ahnung hat, wer hinter der Aktion steht, macht das LKA das Adbusting-Kollektiv „Dies Irae“ verantwortlich und führt wenige Wochen später bei einem mutmaßlichen Mitglied eine Hausdurchsuchung durch.

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Pikant: Das Adbusting-Kollektiv „Dies Irae“ hatte bis zu dem Zeitpunkt sich noch nie mit Polizei- oder Militärpostern beschäftigt. Trotzdem rechtfertigte der Berliner Staatssekretär Akmann in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage die Verfahren, damit, es ginge um die Themenfelder „Antimilitarismus“ und „Antirepression“.

Ein Zeitungsartikel zum Thema:

https://www.nd-aktuell.de/amp/artikel/1129263.werbeplakate-polizei-mit-kackbratze-beschaeftigt.amp.html

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2019: „Ein Treffen zum Aufrüsten und Abschotten“
Im Februar 2019 gibt es wieder eine Demo zum Polizeikongress. Die Demo findet wieder drei Tage vor dem „Kongress“ in Friedrichshain und Kreuzberg weitab vom Geschehen statt. Dieses Jahr haben die Organisator*innen auch darauf verzichtet, eine Route mit thematisch passenden Kundgebungen zu organisieren. Inhalt und Konfrontation sind halt out, man latscht lieber durch den eigenen Kiez…

Doch es gibt wieder eine Adbusting-Aktion. Gegenüber des Berliner Kongress Centers verkündet ein selbstgemaltes Plakat „EU-Polizeikongress – Ein Treffen zum Aufrüsten und Abschotten.“

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Auch wenn das am Montag in der Werbevitrine platzierte Plakat am Dienstag bei der Eröffnung niemand mehr gesehen haben dürfte (in der Nacht von Mo auf Di werden bundesweit alle Citylights gewechselt), zeigen spätere Recherchen mit parlamentarischen Anfragen, dass das Berliner Landesamt für Verfassungsschmutz dieses Adbusting ans Terrorabwehrzentrum GETZ meldete.

„Da für Gewalt“ im VS-Bericht
Im Sommer 2019 gibt es eine unangenehme Überraschung. Beim zufälligen Durchblättern des gerade frisch erschienenen „Verfassungsschutzbericht“ für das Jahr 2018 des Bundesamt für Verfassungsschmutz stolpert die Kommunikationsguerilla-Szene über eine Sensation: Der Bericht enthält ein Bild der Aktion vom Polizeikongress. Für die Autor*innen des Geheimdienst-Berichtes ist klar: Plakate bekleben ist so schlimm wie Angriffe auf Beamte:

„Neben physischen Angriffen auf Polizeikräfte versuchen Linksextremisten gezielt, die Polizeibehörden allgemein in der Öffentlichkeit zu diskreditieren. Dazu bedienen sie sich (…) auch der Aktionsform des „Adbustings“. Dabei verfremden Linksextremisten Werbeplakate der Polizei und anderer Sicherheitsbehörden im öffentlichen Raum, indem sie diese mit Parolen versehen, welche Polizeibeamte oder Angehörige der Sicherheitsbehörden als Verbrecher oder die Polizei als Instrument eines willkürlich agierenden Unrechtsregime darstellen. So wurden im Vorfeld des (…) Polizeikongresses Werbeplakate der Berliner Polizei so verfremdet, dass damit der Polizei willkürliche Gewaltausübung, „institutioneller Rassismus“ und die Absicherung bestehender „Ausbeutungsverhältnisse“ unterstellt wurden.“

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Vom bbc ins GETZ
Doch damit nicht genug: Spätere Recherchen zeigten, dass sich nach der Adbusting-Aktion zum Polizeikongress 2018 das „Gemeinsame Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum von Bund und Ländern (GETZ)“ 2018/19 gleich vier mal mit Adbustings beschäftigte. Hier sieht man, wie die sogenannten „Verfassungsschutzberichte“ wirken: Sie sind Feinderklärungen. Wer im „Verfassungsschutzbericht“ steht, ist richtig böse, ganz nah an Terrorismus dran und gegen Terror ist jedes Mittel recht.

Hausdurchsuchungen und DNA-Analysen
Dementsprechend geht die völlig entgrenzte Repression gegen Adbuster*innen weiter. Das LKA 521 veranstaltet im Sommer 2019 weiter Hausdurchsuchungen und außerdem DNA-Analysen. Außerdem kommt es im Oktober zum Showdown: Der bundesweit erste Gerichtsprozess wegen Quatsch mit Werbevitrinen wird in Berlin zur Anklage gebracht.

Der Adbusting-Gerichtsprozess
Der Gerichtsprozess und der Eintrag im Verfassungsschutzbericht führten zu einer ungewöhnlichen Allianz. Betroffen waren eher nette freundliche bürgerliche Adbuster*innen. Und weil die mit der Repression völlig überfordert waren, ließen sie sich von Linksradikalen helfen. Am Ende zogen in der Soligruppe plakativ tatsächlich bürgerliche und linksradikale Gruppen an einem Strang (bis auf das peng-Kollektiv, die haben das nicht nötig, mit anderen Leuten solidarisch zu sein…). Die gemeinsame Arbeit entwickelte eine für linke Projekte ungeahnte Durchschlagskraft.

Die Pressearbeit der Soligruppe plakativ führte dazu, dass bereits am Morgen des Verhandlungstag mehrere Berliner Medien über den Gerichtsprozess berichteten. Sämtliche Zeitungen der Stadt hatten Reporter*innen zur Verhandlung geschickt. Wie druckvoll sowas ist, zeigte sich bei der Vernehmung des Staatsschützers Kriminalkommisar Bähnisch. Er beschwerte sich über das Medieninteresse. Derart unter Beobachtung geriet die Verhandlung schnell zur Frace. Denn der Staatsschutz konnte trotz 1200 Aktenseiten und mehrern Jahren Ermittlungen nicht erklären, was oder wie hoch eigentlich bei den angeklakten Aktionen der Sachschaden gewesen sei. Um den staatlich bezahlten Gewalttäter*innen vom LKA weitere Peinlichkeiten zu ersparen, stellte die Richterin das Verfahren schließlich ein.

Von den Schilderungen der Cops zur Ermittlungsarbeit und dem vorläufigen Erfolg angestachelt, machte sich die Soligruppe plakativ daran, die Staatschutzbehörden gezielt anzugreifen. Als erstes suchte sie weitere Betroffene und ermutigte diese, sich ihre Akten zu beschaffen. Mit den hieraus gewonnenen Erkenntnissen sprach die Soligruppe plakativ gezielt Journalist*innen und Abgeordnete an. In Kombination mit weiteren Adbusting-Aktionen führte die mit den Kleinen Anfragen hergestellte öffentliche Druck schließlich dazu, dass die Behörden einknickten.

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2020: „Rassismus schützen? Bewirb Dich beim Verfassungsschutz“
Doch erstmal stand ein weiterer Polizeikongress an. Im Jahr 2020 lief die Demo wieder Tage vorher und am Arsch der Welt weit entfernt vom bbc durch Friedrichshain. Wie zum Beweis der thematischen Beliebigkeit ihrer Mobilisierung widmeten die Organisator*innen ihre Demo kurz vorher in eine Gedenkdemo für die kurz zuvor in ihrer Wohnung von Cops erschossene Maria um. Die hauptstädtische Kommunikationsguerilla-Szene hatte derweil mit ganz anderen Problemen zu kämpfen. Denn die Werbevitrinen am Alex und am bbc waren mit die ersten, die die betreiber*innenfirma Wall-Decaux durch digitale Anzeigen ersetzen ließ.

Also wichen die Chaot*innen vom „Bundesamt für Veralberung (BfV)“ aus und schlugen eine Schneise der Kritik quer durch die Berliner Innenstadt. Auch thematisch wendeten sie einen leichten Shift an. Statt die Polizei zu kritisieren, begrüßten sie die aus Köln zum Polizeikongress angereisten Geheimen aus dem Bundesamt für Verfassungsschmutz mit einer kritischen Poster-Serie.

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Die gefälschten Poster erweckten den Anschein, als suche der Inlandsgeheimdienst neues Personal. Was die Kanditat*innen angeblich mitbringen müssen: Bock auf Rassismus, Gewalt und Männerbünde. Die Plakate thematisieren die dort herrschende gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit: „Rassismus schützen? Bewirb Dich beim Verfassungsschutz: Unsere Behörde wurde von Alt-Nazis gegründet. Diese autoritäre, rassistische und sexistische Kultur pflegen wir bis heute.“

Auch der repressive Zweck, der sich hinter dem Euphemismus „Verfassungsschutz“ verbirgt, vermarkten die Plakate als vermeintlich gutes Arbeitsumfeld: „Willkürliche Gewalt schützen? Bewirb Dich beim Verfassungsschutz: Um Ausbeutung und Ungerechtigkeit zu erhalten, tun wir alles: Spitzeln, Einschüchtern, Hetzen, beim Töten zusehen.“

Die toxische Männlichkeit, die in solchen hierarchischen fernab der Öffentlichkeit agierenden gewaltafinen Behörden herrscht, benennen die Plakate: „Bock auf Männerbund? Bewirb Dich beim Verfassungsschutz: Leute bespitzeln, in Privatem von Anderen nach Belieben rumschnüffeln, staatliche Gewalt legitimieren.“

Die Aktion ist ein voller Erfolg: Taz, Berliner Zeitung und Berliner Kurier berichten und in den Unsozialen Medien wird die überzogene Repression der Behörden breit diskutiert.

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Der Bumerang dreht sich
In der Rückschau stechen im Jahr 2020 die Monate Mai und Juni hervor. Denn nachträglich betrachtet bilden diese Monate den Wendepunkt in der Solidaritätskampagne in Sachen Adbusting. In dieser Zeit liegen vier wichtige Ereignisse. Im Mai 2020 veröffentlichte zererst der Bundestag eine Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linkspartei. Die Abgeordnete Ulla Jelpke hatte gefragt, welche Adbustings Thema im Terrorabwehrzentrum GETZ waren.

Die Antwort überraschte: „Die Bundesregierung ist nach sorgfältiger Abwägung zu der Auffassung gelangt, dass eine weitergehende Beantwortung der Frage nicht erfolgen kann (…). Die Information (…) berühren derart schutzbedürftige Geheimhaltungsinteressen, dass der Schutz des Staatswohl dem parlamentarischen Informationsrecht überwiegt. Dies könnte einen Nachteil für die die Interessen der Bundesrepublik Deutschland (…) bedeuten.“

Die Kommunikationsguerilla konnte sich kaum halten vor Lachen bei der Vorstellung, dass es ausreicht, ein paar Adbusting-Poster aufzuhängen, um die Sicherheit der Republik zu gefährden. In der Kommunikationsguerilla-Szene breitete sich derweil Optimismus aus. Denn die blöde Antwort zeigt, dass der Geheimdienst keine Lust mehr auf dumme Fragen zum Thema Adbusting hatte und mit dem Blödsinn versucht, sich um die Debatte zu drücken. Also hing die Gruppe XYZ ein paar Adbustings mit dem albernen Zitat aus der Kleinen Anfrage im Herzen der Republik zwischen Reichstag und Kanzler*innenamt auf.

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StA: Adbusting nicht strafbar
Doch damit nicht genug: Auch die Staatsanwaltschaft Berlin hatte auch keine Lust mehr, blöde Fragen zu Adbusting beantworten zu müssen. Die vermehrte Berichterstattung über Adbusting führte dazu, dass mehr Menschen diese Aktionsform ausprobierten und das wiederum führte dazu, dass die Polizei auch mehr Leute schnappte. So in den frühen Morgenstunden des 1. Mai 2020 in Berlin-Tegel. Die Polizei stellte hier eine junge Aktivist*in auf frischer Tat an einer noch geöffneten Werbevitrine und legte diese Person wie bei Terrorist*innen üblich sofort in Handschellen.

Der Staatsschutz des LKA 521 beantragte bei der Staatsanwaltschaft mittels Dringlichkeitsantrag eine Hausdurchsuchung. Doch die Staatsanwaltschaft tat erstmal zwei Wochen gar nichts außer die Cops warten zu lassen. Dann entschied die Behörde, dass sie sich ihre Durchsuchung sonstwo hinstecken könnten und dass das Verfahren mangels Strafbarkeit sofort einzustellen sei, da nichts gestohlen oder beschädigt worden sei. Eine Sensation: Adbusting ist kein Terror, sondern straffrei. Der Beschluss geht als sogenannter „Darf-Schein“ in die Geschichte der Kommunikationsguerilla ein.

Die ganze Geschichte auf Indymedia:

https://de.indymedia.org/node/91134

Der „Darf-Schein“-Beschuss der Staatsanwaltschaft Berlin im Wortlaut:

https://abschaffen.noblogs.org/post-an-polizei/

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VS-Bericht jetzt doch ohne Adbusting
Den nächsten Sieg fuhr die hauptstädtische Kommunikationbsguerilla im Juni 2020 ein. Pünktlich zur Vorstellung des sogenannten „Verfassungsschutzberichtes“ klebten am Wachhaus der Geheimdienst-Kaserne Adbustings: „Yeah, anstatt was gegen Rassismus zu tun, überwachen wir Adbusting!“ Das Innenministerium verschob in letzter Minute die Pressekonferenz um zwei Wochen (wären wir das Peng-Kollektiv, würden wir hier jetzt einen kausalen Zusammenhang unterstellen und erstmal Spenden sammeln gehen).

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Zwei Wochen später zeigt sich: Im Bericht steht kein Wort mehr zu Adbusting. Ulla Jelpke fragt erneut nach. Das Ministerium antwortet: Nein, kein Fehler, man habe auch nicht dem öffentlichen Druck nachgegeben. Stattdessen sei aufgefallen, dass das Bekleben von Werbepostern doch nicht gewalttätig sei. Ein großer Erfolg für die Solikampagne der Soligruppe plakativ: Adbusting ist nicht strafbar und steht nicht mehr im VS-Bericht.

„Unbequemes Adbusting ist grundrechtlich geschützt“
Als Sahnehäubchen veröffentlichten auch im Juni 2020 die Jurist*innen Prof. Dr. Fischer-Lescano und Dr. Gutmann von der Uni Bremen ein Gutachten, dass sich mit der Repression gegen Adbusting beschäftigt. Ihr Fazit: „Unbequemes Adbusting ist grundrechtlich geschützt“ und „Es wird Zeit, dass die deutschen Sicherheitsbehörden diesen Grundsatz auch dann beherzigen, wenn es um Adbusting geht, das sich kritisch mit ihren Praxen und Imagekampagnen auseinandersetzt.“ Derartig motiviert legte die Kommunikationsguerilla-Szene Berlins so richtig los. Dabei machten die Chaot*innen so viel Wirbel, dass die Polizei bis heute auf weitere Werbung mit City-Light-Plakaten in Werbevitrinen verzichtete.

Das Gutachten im Wortlaut:

https://verfassungsblog.de/adbusting-unbequem-aber-grundrechtlich-geschuetzt/

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2020: „Wir scheißen auf das Recht, gegen uns zu sein!“
Von den vielen Erfolgen der Solikampagne der Soligruppe plakativ motiviert traf die hauptstädtische Kommunikationsguerilla im September 2020 auf eine neue Werbekampagne der Polizei. Es sollte bis heute die letzte bleiben.

Die Gruppe „110prozent subversiv“ klaute sehr viele Werbeposter der Polizei zusammen und vollbrachte das Kunststück, diese innerhalb weniger Tage umgebastelt wieder in den Umlauf zu bringen. Die Werbekampagne bot wunderbare Aufhänger für Adbustings. Zusammen mit dem behelmten Kopf einer Bereitschaftsschläger*in zeigen die Originale z. B. den von der Bundeswehr geklauten Slogan „Wir kämpfen auch für das Recht, gegen uns zu sein.“ Mit minimalen Aufwand wurde daraus: „Wir scheißen auf das Recht, gegen uns zu sein!“.

Aus „Wir wollen wachsen, nicht nur größer werden“ machen die Chaot*innen: „Wir sind Nazi-Netzwerk. Nur größer.“

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Aus „Die Waffen der Frau? Dieselben wie die der Männer!“ wurde „Die Waffen der Polizei? Lügen. Gewalt. Rassismus.“

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Aus „Den Respekt der Straße muss man sich verdienen“ wurde „Den Respekt der Straße muss man sich ermackern.“

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Feedback von der GdP

Die Poster hingen keine Stunde, da ärgerten sich schon Streifencops über die Poster, fotografierten diese und bettelten um Schutz vor der Kritik bei der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Deren Pressesprecher*in Benjamin Jendro postete Bilder der Aktion bei Twitter und opferte rum: „Diese wundervollen Erzeugnisse hängen an der Stresemannstraße/Schöneberger Straße – das ist keine Meinungsäußerung, sondern perfide, menschenverachtend und armselig – Kann nicht sein, dass das stärkste Mittel des Rechtsstaats gegen solche Perversion das Kunsturheberrecht ist.“

Das Statement zeigt, dass sich die Erfolge der Soligruppe plakativ durch die Nazi- und Polizei-Chatgruppen sogar bis zur Presseabteilung der GdP durchgetratscht hatten, und wie hilflos die staatlich bezahlten Gewalttäter*innen dem Phänomen gegenüber standen.

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2020: „Kann illegal. Kann scheißegal.“
Die Kommunikationsguerilla-Gruppe „Polizei abschaffen“ setzte derweil zum ganz großen Showdown an. Aus den von der Soligruppe plakativ veröffentlichten Aktenauszügen wusste man mittlerweile, dass das LKA Hausdurchsuchungen und DNA-Proben u.a. damit begründete, dass Adbusting die betroffenen Adressat*innen „gar lächerlich“ machen würde. Wie praktisch, dass es direkt vor der Haustür des LKAs eine Bushaltestelle mit Werbevitrinen gibt, dachte man sich bei „Polizei abschaffen“ und legte los…

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Zuerst versendete „Polizei abschaffen“ den schon erwähnten „Darf-Schein“-Beschluss der Staatsanwaltschaft zusammen mit einem rotzfrechen Anschreiben an alle Polizeidienststellen und an alle Gewerkschafts-Kontakt-Cops (in der Regel 2-4 pro Dienststelle). Leider ist bisher nicht öffentlich geworden, wie viele Dienststellen daraufhin beim Staatsschutz oder der Staatsanwaltschaft anriefen, um einen Fall von ganz niederträchtiger Dokumentenfälschung zu melden, nur um dann erklärt zu bekommen, dass der Beschluss leider echt ist.

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Eine Woche später platzierte die Gruppe „Polizei abschaffen“ 40 selbstgemachte Plakate unerlaubt in Werbevitrinen in der gesamten Innenstadt. Die zeigten Piktogramme von Polizist*innen bei der Arbeit. Also beim Prügeln, grapschen und schikanieren. Dazu steht auf den Postern der große Slogan: „Kann illegal. Kann scheißegal.“ Und kleiner hieß es: „Statt Polizeigewalt zu hinterfragen, jagen wir lieber Adbuster*innen“ oder „Statt institutionellen Rassismus zu hinterfragen, jagen wir lieber Adbuster*innen.“

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Polizei bewacht Werbevitrinen
Das Highlight: Das letzte Poster platzierte die Gruppe vor dem LKA offen angekündigt als Guerilla-Pressekonferenz zusammen mit einem dutzend Journalist*innen. Der Plan ging auf. Das LKA hatte eine Hundertschaft an der Werbevitrine platziert, um diese zu beschützen. Die Akte des Einsatzes ließt sich sehr unterhaltsam. Die Cops geben zu, dass es sich um keinen Strafrechtsverstoß handelt und ärgern sich über die Handbremse. Denn der Einsatzleiter rief bei Beginn der Aktion extra im Stab der Polizeipräsident*in an, und erhielt den Befehl, niemanden zusammen zu schlagen, sondern die „Pressekonferenz“ gefälligst „wie eine Pressekonferenz“ zu behandeln.

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Als die Cops trotzdem das Kapern der Vitrine mit der Androhung von Gewalt verhinderten, stellte sich eine Aktivist*in zur Szene dazu und zeigte mit einem Papppfeil auf die Cops. Auf dem Papppfeil stand: „Rechtsbrecher*in“. Das ärgerte die Cops so sehr, dass sie Anzeige wegen Beleidigung erstatteten.

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Doch auch die Chaot*innen traten nach. Am nächsten Tag erwischte es die Werbevitrine doch noch. Den beiden H&M-Modells wurde mittels angeklebten Sprechblase folgendes in den Mund gelegt: „80 Cops, die Werbung bewachen?“ und „Gar lächerlich“.

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Auf ihrem Blog feierte „Polizei abschaffen“ das sinnlose Rumstehen der Hundertschaft und kündigten an, solche Aktionen jetzt jede Woche zu machen, da Werbevitrinen bewachende Schlägertypen keine Häuser räumen oder Abschiebungen durchführen können. Diese Ankündigung besorgte den Staatsschutz so sehr, dass eine Woche später vier Zivi-Cops die Bushaltestelle bewachten und jeden ganz genau musterten, der oder die der Werbevitrine zu nah kam.

Ein Video der Aktion gibts hier:

2021: Polizei verzichtet auf City-Lights
Im Vergleich zu dem fulminanten Jahr 2020 blieb es 2021 eher ruhig. Der Polizeikongress fand wegen der Pandemie lediglich online statt, die Chaot*innen organisierten lediglich einen mäßig besuchten Gegenkongress, der fast die selben Veranstaltungen wie der Gegenkongress des Vorjahres wiederholte. Polizei-Adbustings gabs auch keine. Das lag aber nicht an den Adbuster*innen, sondern an der Polizei. Diese hatte beschlossen, dass sie auf City-Lights in Werbevitrinen verzichtet, und ihr im Vergleich zu anderen Behörden recht schmales Budget lieber im Internet verpulvert.

Die Kommunikationsguerilla-Gruppe „Polizei abschaffen“ dazu in einer Pressemitteilung: „Irgendwann war Oktober und wir mussten einsehen, dass die Landespolizei Berlin offensichtlich beschlossen hat, auf Propaganda-Poster im öffentlichen Raum zu verzichten“ sagt Barbara Jendro, die Sprecher*in der Kommunikationsguerilla-Gruppe Polizei abschaffen. „Daraufhin haben wir erstmal Krim-Sektkorken knallen lassen!“

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Fazit: Warum wir uns von unserem Demo-Fetisch emanzipieren sollten
Schaut man sich die mediale Wirkung der Mobilisierungen zum Polizeikongress an, muss man leider feststellen, dass diese nicht besonders viele Spuren im medialen Diskurs hinterlassen haben. Ganz anders die Adbustings zum Polizeikongress: Diese führten dazu, dass sich die Behörden gar lächerlich machten und sich „allgemein in der Öffentlichkeit zu diskreditieren“ wie es der Geheimdienst in seinem Bericht so schön als Ziel der Chaot*innen beschrieb. Die Solikampagne der Soligruppe plakativ, die als Abwehrkampf gegen Repression begann, entwickelte sich zum Bumerang für die Cops, denn die Solikampagne führte letztlich de facto zur Entkriminalisierung von Adbusting.

Die Köpfe hinter der Kampagne erkannten zielsicher, dass die Repression wegen den Adbusting-Postern zum Polizeikongress in einer liberalen Öffentlichkeit schwer zu vermitteln ist, und dass sich hier eine Gelegenheit bietet, die Sicherheitsbehörden gar lächerlicher zu machen, als es veränderte Werbeposter je könnten. Die Kampagne mündete in einen der wenigen Erfolge der autonomen Szene seit der Absage des Google-Campus im Jahr 2018. Deswegen sollten wir darüber nachdenken, ob wir den Demo-Fetisch nicht hinterfragen wollen und uns stattdessen ein breiteres Aktionsspektrum (wieder-) aneignen sollten.

Leseempfehlung: Kampagne gegen Reichtum:

https://de.indymedia.org/node/170093